Schwerin/GNN/MVregio Grußwort von Justizministerin Uta-Maria Kuder anlässlich der Fachtagung "Justiz und Medien im Neustädtisches Palais zu Schwerin.
Justizministerin Uta-Maria Kuder (CDU): "Justiz und Medien – ein Slalom zwischen Nähe und Distanz! Justiz und Medien – eine unheilige Allianz? Justiz und Medien – wie Feuer und Wasser?
Diese – und natürlich noch viel mehr – Stichworte wirft Google aus, wenn Sie das Pärchen "Medien und Justiz" in die Suchmaschine eingeben. Allein diese drei Bilder signalisieren eine gewisse Spannung, aber auch eine Anziehungskraft und Abhängigkeit. Es scheint sich um eine ganz spezielle Beziehung zu handeln – die von Medien und Justiz! Der aktuelle Prozess im Fall "Kachelmann" zeigt uns mehr als deutlich, wie spannungsgeladen Medienberichterstatter und Vertreter der Justiz miteinander umgehen und wo Grenzen überschritten werden.
Ich will einigen Fragen auf den Grund gehen:
- Gibt es eine Regelung für das Verhältnis von Justiz und Medien?
- Beeinflussen Medien Gerichte und Staatsanwaltschaften in ihren Entscheidungen?
- Gibt es Verbesserungsbedarf in der Kommunikation?
Wie Sie alle wissen: Der Jurist schaut gerne erst einmal darauf, wo ist was und wie geregelt? Ein Blick ins Gesetz führt da meistens weiter. Paragraf 4 des Landespressegesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern lautet:
- Die Presse hat gegenüber Behörden – in unserem Fall den Justizbehörden – ein Recht auf Auskunft.
- Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen.
Das heißt klar und deutlich: Es besteht für die Justizbehörden eine gesetzliche Pflicht, der Presse Rede und Antwort zu stehen. Damit ist keine gläserne Justiz gefordert, aber eindeutig geregelt, dass die Presse die Möglichkeit haben muss, Auskunft über Sachverhalte zu erhalten, die die Öffentlichkeit interessiert. Soweit so gut – aber es gibt Einschränkungen!
Auskünfte können verweigert werden, soweit
- hierdurch die sachgemäße Durchführung von schwebenden Verfahren – beispielsweise strafrechtliche Ermittlungsverfahren – oder Verwaltungsvorgänge zu Lasten Dritter vereitelt, erschwert… usw. werden könnte,
- ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges Interesse verletzt würde,
- Vorschriften über die Geheimhaltung oder den Datenschutz entgegenstehen,
- ihr Umfang das zumutbare Maß überschreitet.
Das allein birgt schon Konfliktstoff in sich. Zudem: Die Interessenslage von Justiz und Medien ist durch und durch unterschiedlich.
Auf den Punkt gebracht kann ich – vielleicht etwas provokativ – sagen:
- Das primäre Interesse der Justiz gilt dem Recht!
- Das primäre Interesse der Medien dem Unrecht!
Die Justiz bringt Pathologien und Rechtsverstöße ans Licht, weil sie der Durchsetzung des Rechtsfriedens dienen will. Die Medien bringen hingegen Pathologien ans Licht, weil diese einen hohen Aufmerksamkeitswert genießen. Sie folgen in ihrer Berichterstattung über das Strafverfahren der Medienlogik und nicht der Eigenrationalität von Strafprozessen.
Trotz dieses Konfliktpotentials will ich an dieser Stelle aber sagen: Das Bewusstsein für den Wert der Pressefreiheit ist in der Justiz fest verankert. Was die Unabhängigkeit für die Richter, das ist die Pressefreiheit für den Journalisten. Sie ist das Fundament ihres Berufes. Ohne Unabhängigkeit keine gute Justiz, ohne Pressefreiheit kein guter Journalismus. Welche Entwicklung stellen wir nun in der Berichterstattung in den vergangenen Jahren fest? Wir haben erlebt, wie Beschuldigte vor laufenden Fernsehkameras vor ihrer Haustür verhaften worden sind, wie Details aus ihrem Privatleben veröffentlicht wurden und Haftprüfungstermine quasi mit Kamerabegleitung stattfanden.
Um dies deutlich zu sagen: Dies lehne ich ab! wenn alle Akteure – die Pressestellen der Justiz, die Anwälte und auch die Medienvertreter – müssen stets bedenken: In keinem Fall darf die Gerechtigkeit Schaden nehmen. Sie alle müssen die Unschuldsvermutung beachten und auch die Unabhängigkeit der Gerichte. Urteile ergehen allein aufgrund von Recht und Gesetz, nicht nach Stimmung des Boulevards. Beim Thema Medien und Justiz ist auch die Rechtspolitik betroffen. Es ist nicht immer einfach, eine rationale Politik gegen medial geschürte Stimmung zu machen. Ein Thema zeigt dies momentan besonders – die Sicherungsverwahrung und die Einführung der Fußfessel. Die Konsequenzen der rechtskräftigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der seit Anfang diesen Jahres erfolgten Neuregelung der Sicherungsverwahrung müssen Staatsanwaltschaften und Gerichte sorgfältig im Einzelfall bewerten. Wir müssen dieses sensible Thema sehr verantwortungsvoll behandeln. Wir als Justiz, aber auch Sie, die Medien.
Ich möchte Ihnen das an folgendem Beispiel veranschaulichen: Vor einigen Wochen wurde ein Strafgefangener entlassen, der wegen schwerer Gewaltdelikte mehr als 20 Jahre inhaftiert war. Er hat seine Strafe verbüßt und ist nun ein "freier" Mann – er kehrt in seine alte Heimat nach Mecklenburg-Vorpommern zurück. Auf Nachfrage durch Medienvertreter hat das Justizministerium umfassend berichtet. Der Entlassene steht unter Führungsaufsicht, ist im FoKuS- Programm aufgenommen, hat Auflagen zu erfüllen – er ist der erste Entlassene in Deutschland, der eine elektronische Fußfessel trägt. Justiz, also Führungsaufsichtsstelle und Bewährungshilfe, gleichermaßen die Polizei tun alles dafür, die Bevölkerung zu schützen, aber auch dem Entlassenen eine Rückkehr in die Gesellschaft zu ermöglichen. Wem ist gedient, wenn einige Tage später in der Zeitung zu lesen ist, wo der Entlassene wohnt, wo er lebt? Wollen wir uns wirklich an den Hetzjagden beteiligen, die gerne von undemokratischen Parteien betrieben werden? Ich kann die Sorge der Menschen nur zu gut verstehen – wer möchte schon einen ehemaligen Gewaltverbrecher in direkter Nachbarschaft wissen? Fakt ist: Diese Menschen haben ihre Strafe verbüßt – jetzt sind wir alle, jetzt ist die Gesellschaft gefordert, eine Integration dieser Menschen zu ermöglichen. Die Justiz wird dabei von Vereinen unterstützt, die solche Menschen in einem betreuten Wohnen aufnehmen. Die ehemaligen Strafgefangenen werden auf diese Weise von Anfang an in einem sozialen Netz aufgefangen – eine natürliche Kontrolle findet statt: Hat der neue "Mitbewohner" vielleicht getrunken – zeigt er aggressives Verhalten? Wenn aber durch Berichterstattung der Blick auf den Wohnort eines Entlassenen gerichtet wird, gefährden wir die Arbeit dieser sozialen Netzwerke.
Hier stehen Sie, sehr geehrte Vertreter der Medien, in einer großen Verantwortung – Berichterstattung über diese Fälle ist wichtig – aber Sie müssen auch die Folgen im Blick haben.
Ein weiteres Beispiel: Der Fall "Kachelmann". Das NDR-Magazin "45 Minuten" produzierte die wirklich sehenswerte Dokumentation "Der Kachelmann-Komplex". Insbesondere wird das Beziehungsdreieck von Justiz, Medien und Litigations-PR thematisiert – als "Kronzeugen" kamen Journalisten, Wissenschaftler und Anwälte zu Wort. Ich freue mich sehr, dass Herr Kuno Haberbusch, Redakteur des Magazins "45 Minuten" und Herr Bongen heute hier sind und das Symposium unterstützen. Die NDR-Dokumentation beleuchtet die Hintergründe des Verfahrens gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann. Die Folgen der Berichterstattung: Die Autoren haben bei Notrufstellen für vergewaltigte Frauen erfahren, wie sehr die reißerische Berichterstattung betroffene Frauen verunsichert. Sie haben Wissenschaftler besucht, deren Untersuchungen belegen, wie stark mittlerweile die Einflussnahme von Medien auf Gerichtsverfahren ist – und sie haben sich von Journalisten erzählen lassen, wie man schon vor Prozessbeginn an vertrauliche Unterlagen herankommen kann.
Der Film zeigt auch, wie schon vor Prozessbeginn beide Hauptakteure, Kachelmann und seine ehemalige Geliebte, alles verloren haben – ohne Richterspruch. Es geht in der Dokumentation nicht um die Klärung der Schuldfrage, sondern um all das, was schon vor diesem Prozess passiert ist und was grundsätzliche Fragen provoziert. Die Redakteure der Sendung haben in diesem Fall einen perfiden Wettbewerb beobachten können. Wer entblößt weitere Details? Wer liefert den nächsten Schmutz? Wer wagt noch eine Enthüllung? Das Gericht wird es schwer haben, in dieser aufgeheizten öffentlichen Atmosphäre ein objektives – und ja – gerechtes Urteil zu sprechen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich, dass zu der heutigen Tagung so viele Vertreter der unterschiedlichen Bereiche aus Justiz- und Medienkreisen gekommen sind. Das zeigt, dass Sie alle bereit und offen sind, sich dem Miteinander in einem "schwierigen" Bereich zu stellen. Wie kann es zu einer noch besseren Zusammenarbeit zwischen Justiz und Medien kommen, welche Rolle spielen die Pressesprecher der Staatsanwaltschaften, wie souverän sind die Richter? Wer informiert die Presse über öffentlich wirksame Prozesse? Klar: Das Hauptverfahren im Strafprozess ist Material für eine Story! Aber: Prozesse finden in der, nicht für die Öffentlichkeit statt. So hat es vor einiger Zeit der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, treffend formuliert. Die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen soll zur Gewährleistung von Verfahrensgerechtigkeit beitragen, die Information über das Geschehen ist Voraussetzung einer Kontrolle in Verfolgung dieses Zweckes. Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung gilt als oberstes Prinzip – kein Angeklagter soll von einer Geheimjustiz hinter verschlossenen Türen abgeurteilt werden – auch soll die Öffentlichkeit bewirken, dass jeder versteht, wie Justiz funktioniert.
Hier möchte ich ausdrücklich eine Bitte an die Gerichte und Staatsanwaltschaften richten: Werden Sie dieser Verantwortung gerecht! Die im Juli 2010 erlassene Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums zur "Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Justizbehörden" regelt, dass die Presseverantwortlichen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften über anhängige Verfahren Auskunft geben sollen und im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit jede Gelegenheit genutzt werden soll, um über unser Rechtswesen aufzuklären.
Eine gute Zusammenarbeit zwischen Justizbehörden und den Medien ist insbesondere für die rechtliche Aufklärung und Information der Bevölkerung, eine dadurch bedingte Akzeptanz von justiziellen Entscheidungen unverzichtbar. Medien können Hilfe bei der Aufklärung von Straftaten leisten und mit ihrer Berichterstattung generalpräventiven Zwecken dienen. Diesen Aufgaben können die Medien aber nur gerecht werden, wenn Informationserteilungen durch die Justizbehörden in einer förderlichen Weise erfolgen. Ich bin deshalb für eine ausführlichere Information der Presse dankbar, soweit dies noch nicht geschieht.
Aus Justizsicht sollten wir uns stets fragen: Kommt es in den Berichten richtig herüber, was wir im Gerichtssaal machen? Wir stellen aber auch immer mehr fest: Selbst Vertreter renommierter Medien können dem komplexen Ablauf nicht immer folgen. Deshalb meine Bitte an die Vertreter der Justiz: Erläutern Sie Hintergründe und Rechtsfragen, statt darauf zu setzen, dass die Beobachter das schon selbst nachlesen werden. Wir tragen als Justiz Verantwortung dafür, dass Urteile und Entscheidungen für die Öffentlichkeit verständlich sind – denn nur so erreichen wir auch die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung und schaffen Transparenz.
Meine Bitte an die Vertreter der Medien: Fragen Sie nach, wenn Sachverhalte für Sie nicht nachvollziehbar sind! So kann vielleicht auch ein Schlagzeile vermieden werden, über die Gerichte sich im Nachhinein aufregen und sich unverstanden fühlen. Aber vor allem: Seien Sie sich in Inhalt und Umfang der Berichterstattung Ihrer Verantwortung bewusst! Fragen Sie sich, ob es wirklich wichtig ist zu wissen, wo ein Entlassener lebt, wie er aussieht, wo er eine Arbeit gefunden hat? Denn, wie soll die Integration eines Strafgefangenen in die Gesellschaft gelingen, für die durch Justizseite über oft viele Jahre hart mit dem Gefangenen gearbeitet wurde, wenn er noch nicht einmal die Chance erhält, einen Anfang und eine Rückkehr in ein straffreies Leben zu erhalten. Arbeitgebern wird das Risiko zu groß – sie entlassen den ehemaligen Strafgefangenen, obwohl er sich aktuell nichts zu Schulden hat kommen lassen, soziale Einrichtungen mit betreutem Wohnen werden unsicher, weil sie ständig befürchten müssen, dass eine Kamera hinter einem Busch lauert, um den Entlassenen oder die Einrichtung zu fotografieren. Nicht zuletzt gibt es auch im Journalismus Sorgfaltspflichten!
Sehr geehrte Damen und Herren,
Justiz und Medien arbeiten bereits heute in vielen Bereichen in Mecklenburg-Vorpommern offen und vertrauensvoll miteinander – die heutige Veranstaltung soll Anstoß für ein noch besseres Verständnis der jeweils "anderen Seite" sein. Ich wünsche mir, dass Diskussion, Beiträge und Gesprächen auch in den Pausen dazu beitragen werden. Lernen wir respektvoll miteinander den Slalom von Nähe und Distanz! Es soll keine unheilige Allianz in MV zwischen Justiz und Medien entstehen – sondern ein offenes Miteinander und respektvoller Umgang auf Augenhöhe. Ich wünsche mir eine glaubwürdige, objektive und ehrliche Berichterstattung – und was wir von Justizseite dazu tun können, werde ich mit ganzer Kraft unterstützen.
GNN-MVregio Schwerin red/sn
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