MVregio/Stuttgart CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe gab der "Stuttgarter Zeitung" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Armin Käfer.
Stuttgarter Zeitung: Herr Gröhe, die Kanzlerin hat der CDU einen Kurswechsel in der Atompolitik verordnet. Wie grässlich ist die Kröte, die Ihre Partei da schlucken soll?
Gröhe: Die Debatte über die künftige Energiepolitik ist für uns als CDU Herausforderung und Chance zugleich. Denn es zählt zum Markenkern der Union, wirtschaftliche Vernunft, soziale Verantwortung und die Bewahrung der Schöpfung miteinander zu verbinden. Als CDU werden wir nun zeigen, dass wir einen beschleunigten Umstieg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien vernünftig gestalten können. Es geht nicht darum, wer am lautesten den schnellsten Ausstieg fordert, sondern wer am überzeugendsten den Umstieg gestaltet.
Stuttgarter Zeitung: Muten Sie der CDU mit dieser radikalen Wende ein halbes Jahr, nachdem sie das Gegenteil beschlossen hatte, nicht zu viel zu?
Gröhe: Die schrecklichen Ereignisse in Japan haben in der CDU wie in ganz Deutschland intensive Diskussionen ausgelöst. Unsere Mitglieder finden es richtig, dass wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern unsere Positionen selbstkritisch überprüfen. Skeptischen Fragen stellen wir uns natürlich: wie eine sichere Energieversorgung weiter gewährleistet werden kann, welche Lasten auf die Verbraucher zukommen, wie der Atomausstieg schneller gelingen kann, ohne die Klimaschutzziele zu gefährden. Natürlich gibt es solche Fragen in den eigenen Reihen. Diese werden wir beantworten – nicht zuletzt am Montag, wenn wir bei einem "Energiepolitischen Fachgespräch" intensiv mit unserer Parteib asis in Berlin diskutieren.
Stuttgarter Zeitung: Umweltminister Norbert Röttgen nennt alle, die den beschleunigten Atomausstieg nicht begeistert unterstützen, politische Dinosaurier. Wie viele solche Dinosaurier gibt es in der CDU denn noch?
Gröhe: Die Mehrheit unserer Anhänger will die beschleunigte Energiewende. Uns eint aber auch der Wunsch, die Wirtschafts- und Sozialpolitik dabei nicht außer acht zu lassen.
Stuttgarter Zeitung: Röttgen sagt, er persönlich müsse seinen Kurs nicht ändern. Das gilt ja nur für eine Minderheit in der CDU. Wie kann es gelingen, alle auf Röttgens Kurs zu bringen?
Gröhe: Wir sind bereits auf einem gemeinsamen Kurs! Das Energiekonzept des vergangenen Jahres trug die Handschrift von Wirtschafts- und Umweltpolitikern gleichermaßen. Schon damals war die Kernenergie für uns lediglich eine Brückentechnologie. Fukushima ist aber für die CDU Anlass zu prüfen, wie wir den Umstieg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien noch schneller schaffen können.
Stuttgarter Zeitung: Wo sehen Sie in den eigenen Reihen noch Widerstände, Vorbehalte, Bedenken?
Gröhe: Wir müssen die Sorgen ernst nehmen, was die Bezahlbarkeit der künftigen Stromversorgung angeht. Dabei haben wir den Rentner und dessen Stromrechnung ebenso im Blick wie die energieintensive Industrie. Deutschland muss ein konkurrenzfähiger Industriestandort bleiben. Zudem werden wir deutlich machen, dass die Energiewende nicht nur Risiken, sondern auch große Chancen bietet. Wir können sie nutzen, um uns weltweit an die Spitze wichtiger technischer Entwicklungen zu setzen. Zugleich können viele Handwerker auf neue Aufträge hoffen, wenn wir die Wärmedämmung verstärkt fördern.
Stuttgarter Zeitung: Fukushima hat die Kanzlerin zu einer kompletten Kehrtwende in der Energiepolitik veranlasst. Ist Opportunismus jetzt ein Markenzeichen christdemokratischer Politik?
Gröhe: Noch einmal: Unser Energiekonzept sah immer vor, mittelfristig aus der Kernenergie auszusteigen. Es geht jetzt um eine Kursbeschleunigung, nicht um einen Kurswechsel. Wenn in einem so hochentwickelten Land wie Japan das scheinbar Unmögliche möglich wird, können Sie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Fukushima war eine Zäsur – für alle Parteien. Natürlich ist eine Technologie wie die Kernenergie auch auf die Akzeptanz in der Bevölkerung angewiesen. Wer darüber hinwegsieht, riskiert die Anschlussfähigkeit unserer Politik an nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung.
Stuttgarter Zeitung: Es gibt ja immer noch Bürger, die Atomkraftwerke für eine kostengünstige und klimaschonende Art der Energiegewinnung halten. Die dürften mehrheitlich Ihrer Klientel zurechnen. Ist die CDU gerade dabei, weitere Anhänger zu verprellen?
Gröhe: Die Kernenergie ist auch für deren Befürworter kein Selbstzweck. Wir alle wollen eine bezahlbare, sichere und klimaverträgliche Stromversorgung. Ich sehe übrigens mit Freude, wie nicht unerhebliche Teile der Wirtschaft signalisieren, dass sie mit ihren Produkten und Dienstleistungen den Weg in die beschleunigte Energiewende mitgehen wollen. Mit Wirtschaftskompetenz und einem klaren Bekenntnis zum Industriestandort Deutschland werden wir auch Zweifler überzeugen können.
Stuttgarter Zeitung: Unabhängig von der Frage, wie vernünftig die künftige Energiepolitik sein mag: sie widerspricht ja Ihren bisherigen Überzeugungen. Wie wollen Sie die verlorene Glaubwürdigkeit zurück gewinnen?
Gröhe: Widerspruch! Wir haben bereits 2007 in unserem Grundsatzprogramm festgehalten, dass die Kernenergie lediglich eine Brücke ins Zeitalter der erneuerbaren Energien ist. Diesen Kurs behalten wir bei, aber wir wollen den Weg jetzt noch schneller und entschiedener gehen.
Stuttgarter Zeitung: Die Kanzlerin hat angekündigt, sie strebe einen "nationalen Konsens" in der Energiepolitik an. Was tut die CDU, um die Opposition und die Umweltverbände einzubinden?
Gröhe: Die Bundesregierung führt Gespräche mit allen Ministerpräsidenten ebenso wie mit Repräsentanten der Zivilgesellschaft, die zum Teil auch Mitglied der Ethikkommission sind. Union und FDP wollen einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, weil der Kraftakt, der vor uns liegt, einer möglichst breiten Unterstützung bedarf. Nur zu sagen, es müsse schnell gehen mit der Energiewende, zugleich aber wie die Grünen gegen neue Stromnetze und Pumpspeicherwerke zu protestieren – nein, das ist keine verantwortungsvolle Politik.
Stuttgarter Zeitung: Die CDU hat den strategischen Nachteil, dass alle Konkurrenten noch schneller aus der Atomenergie aussteigen wollen. Wie gehen Sie damit um?
Gröhe: Nur raus aus der Kernenergie, das ist kein überzeugendes Konzept. Union und FDP wollen einen vernünftigen Umstieg mit Augenmaß. Rot-Grün hatte zwar den Atomausstieg beschlossen, aber keinen schlüssigen Fahrplan für den Ausbau alternativer Energiequellen. Das können wir besser.
Stuttgarter Zeitung: Unter Angela Merkel hat die CDU etliche ihrer Grundüberzeugungen aufgegeben: Sie hat Deutschland zum Einwanderungsland erkoren, zu dem auch der Islam gehöre, begeistert sich für Mindestlöhne, schafft die Wehrpflicht ab und auch Atomkraftwerke. Wie viele solcher Kulturrevolutionen sind einer Partei zuzumuten, ohne sie in eine Identitätskrise zu stürzen?
Gröhe: Das ist nun wirklich ein Zerrbild! Mit unserer Integrationspolitik, die das Gegenteil von rot-grünem Multikulti ist, und einer Reform, die die Bundeswehr stärkt, zeigen wir Grundsatztreue und werden neuen Herausforderungen gerecht. Das macht eine wertegebundene und moderne Volkspartei aus.
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